Wie kann Politik richtig entscheiden? Hannah Arendt | Gert Scobel

Was macht das Besondere der politischen Urteilskraft aus? Ist politische Führung am Ende eine Kunst? Und wie verbindet politische Urteilskraft Erkenntnis und Theorie mit der Praxis des Handelns? Genau über diese Fragen hat Hannah Arendt nachgedacht: politisches Urteilen und Handeln. Die Idee, dass am Ende die Politik entscheidet, ist nicht neu: Denn mit dieser Einsicht begann schon die ‚Nicomachische Ethik‘ des Aristoteles. Es dauerte aber bis 1790, bis Immanuel Kant in seiner „Kritik der Urteilskraft“ die Frage nach der Urteilskraft erstmals wieder aufnahm. Er stellte fest, dass es auch in Geschmacksurteilen etwas Gemeinsames gibt. Mit dem „sensus communis“ bezeichnet er einen „Gemeinsinn“, einen Sinn wie unsere anderen SINNE auch: allerdings ist er der gleiche Sinn für jeden von uns, trotz unserer unterschiedlichen Privatheit der Empfindung. Gemeinsinn ist eine Art Sondersinn, der uns verbindet, weil wir, kurz gesagt, alle Menschen sind. Und als Menschen in Gemeinschaft leben und auch in Gemeinschaften gelernt haben, unsere Urteile zu fällen. Hannah Arendt sollte diese Gedanken zwar weiter, aber leider nicht zu Ende führen. Die Arbeit an Ihrem Buch „Das Urteilen“ begann sie kurz vor ihrem Tod 1976. Ihr letztes Werk besteht im Grunde genommen aus Notizen und Vorlesungen - veröffentlicht wurde „Das Urteilen“ 1982, in der deutschen Ausgabe mit einem brillanten Essay des an der Universität Toronto lehrenden Politikwissenschaftlers Ronald Beiner. Gesetze der Logik oder logische Schlüsse kann man durchaus zunächst für sich allein im stillen Kämmerlein ziehen. Dies gilt nicht für die Urteilskraft: Sie lebt von der Öffentlichkeit und erfordert, was Kant die „allgemeine Mitteilbarkeit“ oder auch Publizität genannt hatte. Politisches Urteilen braucht Freiheit, auf der es beruht. Wer urteilen will, muss in Lage sein, tatsächlich selbst denken zu können aber auch zu dürfen. Das aber bedeutet, dass man von seiner politischen Freiheit und kritischem Denken öffentlich Gebrauch machen kann und muss. (63) Daher ist es stets der erste Schritt von Despoten, genau das, nämlich öffentliches Denken, zu unterbinden. Man sieht es in Russland, in der Türkei oder in China und vielen anderen Ländern, nicht zuletzt in Ansätzen in den USA. Über 2000 Jahre alte Denkansätze – aktueller denn je. Hannah Arendt: Das Urteilen, 1982. Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, 1790. (Werkausgabe Band X) Ronald Beiner, Professor of Political Science, University of Toronto Scobel ist eine Produktion des ZDF in Zusammenarbeit mit Objektiv Media. Abonnieren? Einfach hier klicken: Die TV-Sendung „scobel“ in 3sat: #xtor=CS3-164
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