Nächste Traditionsmarke: Kettensägen-König Stihl will aus Deutschland weg
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Erst war es Miele und jetzt kommt Stihl: Eine Traditionsmarke nach der anderen kehrt Deutschland den Rücken. Stihl zieht es ausgerechnet in die teure Schweiz. Noch ist nichts beschlossen, aber wenn die Deutschen weiter bei gleichem Lohn weniger arbeiten wollen, wird es dazu kommen.
Erst war es Miele: Der traditionsreiche westfälische Küchengerätehersteller, das Aushängeschild für „Made in Germany“, hatte bundesweit einen Schock ausgelöst, als die Unternehmerfamilie im vergangenen Monat ankündigte, die Produktion in Deutschland zurückzufahren und dafür in Polen auszubauen. Im Windschatten von Miele ging unter, dass ein anderer Familienbetrieb, der nicht weniger für die Kunst des Maschinenbaus hierzulande steht, ebenfalls an Auswandern denkt. Es geht um Stihl. Der Weltmarktführer beim Verkaufen von Motorsägen aus Schwaben hat die Schweiz als Produktionsort in Auge gefasst.
Ausgerechnet die Schweiz? Diesen Höchstlohnstandort in Europa? Ja, bekräftigt der Beiratsvorsitzende Nikolas Stihl. Und zwar aus Kostengründen. Obwohl Schweizer Arbeiter mehr verdienten, sei die Produktion dort billiger. Und eine Firmensprecherin schiebt hinterher: „Mittelfristig steht die Forderung der IG Metall nach einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich im Raum. Diese Arbeitszeitverkürzung würde die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Standorts insgesamt nochmals deutlich schwächen.“ Die IG Metall hatte in ihren Verhandlungen für die nordwestdeutsche und ostdeutsche Stahlindustrie eine 32-Stunden-Woche gefordert. „Diese Arbeitszeitverkürzung wäre der Einstieg in die 4-Tage-Woche, die dadurch in vielen Bereichen möglich wird“, hatte der Bezirksleiter der IG Metall NRW Knut Giesler erklärt. Sie liegt damit auf einer Linie mit den Grünen im Bundestag. „Die Vier-Tage-Woche muss kommen, wenn wir uns geschlechtergerecht weiterentwickeln wollen“, sagt beispielsweise die Grünen-Abgeordnete Emilia Fester.
Dabei ist Stihl eine deutsche Legende. Bald 100 Jahre alt und noch immer komplett in den Händen der Gründerfamilie. Rund Mitarbeiter weltweit machen einen Umsatz von rund 5,5 Milliarden Euro, 90 Prozent davon allerdings schon nicht mehr in Deutschland. Die Investitionen sind mit gut 400 Millionen Euro ziemlich hoch, es wird also Geld ausgegeben, um weiter vorn dabei zu sein. Der benzinbetriebenen Motorsäge mit dem unverwechselbaren Sound steht selbstverständlich das leisere E-Modell zur Seite. Die Stihls gehen mit der Zeit, was auch zur Folge hatte, dass sie 2020 ihren in Sammlerkreisen begehrten Kalender mit leichtbekleideten Frauen eingestellt haben.
Sitz der Firma ist Waiblingen bei Stuttgart und nicht ganz weit von dort, genauer im Westen von Ludwigsburg, gähnt derzeit eine riesige Industrie-Brache, die mit der Entscheidung der Familie zu tun hat. Stihl hatte dort bis 2018 einen Logistik-Standort betrieben, das sogenannte „Stihl Werk 5“. Die in die Jahre gekommene Gebäudesubstanz wurde den Anforderungen irgendwann nicht mehr gerecht und geräumt. Gemeinsam mit der Stadt Ludwigsburg wurden verschiedene Nutzungsszenarien durchdacht und schließlich eine Konzeptstudie für einen neuen, hochmodernen Produktionsstandort entwickelt. Seit 2023 läuft der Abriss des ehemaligen Werkes.
Parallel dazu entwickelte Stihl die Idee, an dieser Stelle eine Produktion für ein zentrales Teil der Motorsäge aufzubauen: die Führungsschiene für die Kette. Dann aber dämmerte den Unternehmern, dass die Umsetzung ihrer Pläne deutlich mehr kosten würde als gedacht. Hinzu kämen erhebliche Energiekosten während des Betriebs. „Es wurde daher entschieden, die Planungen zu redimensionieren und zu gegebener Zeit mögliche Alternativen zu prüfen“, heißt es aus der Waiblinger Zentrale und im gleichen Atemzug wird die Schweiz als möglicher alternativer Standort genannt. „Dort produzieren wir unsere Sägeketten für den Weltmarkt. Sollte die Entscheidung für diesen Standort getroffen werden, könnte zukünftig die gesamte Schneidgarnitur für unsere Motorsägen in der Schweiz hergestellt werden.“
Der Beirats- und Aufsichtsratsvorsitzende Nikolas Stihl hatte bereits vor Monaten in einem Interview mit dem Handelsblatt erklärt, dass er Deutschland als Standort für die Industrie nicht mehr für wettbewerbsfähig hält. Einen großen Knall, bei dem die Wirtschaft mit einem Schlag zusammenbreche, erwarte er nicht. „Aber Investitionen, die früher nach Deutschland geflossen sind, gehen heute immer häufiger nach Osteuropa, in die USA oder nach Asien.“
Mit einem Appell an die Bundesregierung hatten sich zuletzt mehrere Unternehmer, die in der Stiftung Familienunternehmen zusammengeschlossen sind, an die Politik gewandt. Mit einem Zehn-Punkte-Plan wollen sie der deutschen Wirtschaft wieder Dampf machen. Dem Bündnis haben sich außer Stihl auch Harald Marquardt, Vorsitzender des Vorstands des Autozulieferers Marquardt Gruppe in Rietheim-Weilheim und Roland Mack, Geschäftsführender Gesellschafter des Europa-Parks in Rust, angeschlossen.
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