Luzerner Orgelgewitter I Lucerne Organ Thunderstorm I 2018 Wolfgang Sieber | Artist on the organ
Orgelgewitter in der Luzerner Hofkirche
WIE ES DAZU KAM
von Wolfgang Sieber
ehem. Stifts- und Hoforganist zu St. Leodegar Luzern 1992 – 2021.
Mit dem Bau offener 32’-Pfeifen in das Gesicht der Grossen Hoforgel erfolgte ein erster Paukenschlag: er verkündete Besonderheit der Gewitter in der Hofkirche. Orgelmacher Hans Geisler gelang 1651 das Wagnis, 10 Meter lange klingende Pfeifen mit definierbaren Tönen zu bauen: das war das furcherregende Donnergrollen. 200 Jahre später wirkten zwei weitere Visionäre: Pater Leopold Nägeli, dazumaliger Stiftsorganist und Techniker sowie Orgelbauer Friedrich Haas. Nägeli schaffte die politischen Voraussetzungen und Haas erbaute auf eigene Kosten die Fernstation mit der einzigen Regenmaschine; sodass ab 1862 der akustische Regen durch die grösste der vier Deckenrosetten in das Kirchenschiff prasseln konnte.
Luzerns Orgelgewitter-Legende nahm ihren Lauf, beschrieb doch Mark Twain 1880 in seinem fiktiv-satirischen Reisebericht ‹A Tramp Abroad› die Szenerie in der Franz Josef Breitenbach (Stiftsorganist 1889 – 1921) brachte dank täglicher Aufführungen die Orgelgewitter zur Popularität. Auch gründete er seine Luzerner Organistenschule, die erste Institution dieser Art in der Schweiz. Wiederum Sohn Josef Breitenbach erfüllte einerseits als Stiftsorganist seinen kirchlichen Orgeldienst, spielte andererseits die Orgelgewitter und unterrichtete an seiner Luzerner von den Breitenbachs gepflegte Orgelgewittertradition ward zur Marke: ihre “Ohrenspiele“ wurden zur Domäne. Das “Breitenbach’sche Orgelgewitter“ gelang letztmals 1947 – der Originalpartitur folgend – zur Aufführung, wenige Male noch wurde die sorgsam verwahrte Gewittermusik konzertant dargebracht. Es wurde still und keine Gewitter fanden mehr statt: die eher zurückhaltende Einstellung dazumaliger Kirchenmusiker zu diesem gesellschafts-psychologischen Klangwerk bewirkte einen Marschhalt – bis ins Jahr 1993...
Am 1. Juni hob ich als neuer Stifts- und Hoforganist meine Komposition Thunderstorm & Organshower aus der Taufe. Gastorganisten spielten gewitterlich mit, Bernhard Billeter konzipierte und meisterte gar ein Neues Luzerner Orgelgewitter: unvergesslich! Johannes Geffert verlieh seiner CD-Einspielung an der Grossen Hoforgel den Titel Alpenfantasie. Einen Tag nach dem Kapell-Brücken-Brand (1993) performte Otto Jolias Steiner seinen Feuerabend mit brennender Weltkugel, der Grossen Hoforgel, Bildreportagen und Franz Listzs Prometheus. Schliesslich hinterlässt der Luzerner Schriftsteller Dölf Steinmann (1942 – 2009) aus seinem Erzählband ‹Nachklang› die umfassende Schilderung meines Orgelgewitters.
Der 2004 gegründete Verein der Orgelfreunde der Luzerner Hofkirche (heute Luzerner Orgelfreunde) förderte 2005 den öffentlichen Startschuss zum Mittagsgewitter, jeweils am Dienstag nach Zwölf mit Videoübertragungen ins Kirchenschiff, Helfenden im Hinter- und Vordergrund, Wegbegleitenden für die Interessierten auf die Orgelempore, gar hoch auf den Dachboden der Fernstation mit der Regenmaschine. Jährlich zogen tausende Gewitter- und damit auch Orgelbegeisterte in die Hofkirche. Ich spielte auch individuelle Orgelgewitter für Kinder, Betagte, private Gruppierungen aus Luzern, der Schweiz und dem Ausland. Der “Gewittererlös“ unterstützte die Abendrezitals internationaler Organistenpersönlichkeiten und diese Mittagsgewitter bildeten das wirtschaftliche Herzstück für den Luzerner Orgelsommer, das Echofestival sowie weitere musikalische Veranstaltungen mit der “Grossen Hoforgel im Mittelpunkt“.
Das nun wieder belebte Luzerner Orgelgewitter schaffte auch Offenheit für Innovatives. Dank Mithilfe von weiteren Orgelbegeisterten durfte ich meine Idee, die auf dem Dachboden der Hofkirche eingelagerten historischen Pfeifen in ein neues Teilwerk der Grossen Hoforgel einzubauen, realisieren. 2015 wurde das mit privaten Mitteln finanzierte Echowerk in den vorderen Altarbezirk der Hofkirche eingebaut und mit dem ECHO-Festival feierlich eingeweiht. Diese neu entstandene Klangarena ermöglicht mittels räumlichen, dynamischen und farblichen Feinheiten den Auro-3D-Klang. Dieses akustische Ausnahmeereignis – gepaart mit passender Musik – verschaffte der Grossen Hoforgel ihren Platz im öffentlichen Leben: Integrale Werkaufführungen sowie Einspielungen wurden realisiert und Konzerte mit Gregorianik, Volksmusik, Funk, Rapp, immer wieder unter Einbezug der Regenmaschine mit der Grossen Hoforgel, ermöglichten allen Menschen DAS Musikerlebnis im Kirchenraum.
Das über Jahre andauernde Zusammenspiel erlebnisnaher Alltags- und Naturbilder mit authentischer Orgelmusik zum Zeitgeschehen führten die Grosse Hoforgel hinaus in die Weiten menschlicher Phantasien und Träume!
Mein Nachfolger Stifts- und Hoforganist Stéphane Mottoul führt diese Orgelgewitter-Tradition in seinem Orgelsommer weiter.
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